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Transcript Ernestine Voß & Elisa von der Recke

Erzählerin: Als Ernestine Voß 1777 den Dichter Johann Heinrich Voß heiratet, hat sie genaue Vorstellungen von den Rollen und Funktionen jedes einzelnen Familienmitglieds: Erzogen in einem Flensburger Pfarrhaus sucht sie den Ehemann als berufstätiges Oberhaupt der Familie, dem die Frau als gute Ehegattin, sorgende Mutter und klug wirtschaftende Hausfrau den Alltag verschönte. Die verschiedenen Bereiche der Geschlechter sind damals sogar räumlich getrennt: Im Privaten wirkt die Frau, und der Mann ist in der Öffentlichkeit tätig.

Ganz anders Elisa von der Recke, die Tochter eines deutschbaltischen Reichsgrafen. Sie ist mit 17 Jahren standesgemäß verheiratet worden und hat sich 1781 scheiden lassen. Zunächst lebte sie mit der Unterstützung ihrer Schwester, der Herzogin von Kurland, aber erhielt später von Zarin Katharina der Großen ein Krongut, was sie finanziell unabhängig macht. Die gebildete Elisa von der Recke reist von da an noch ausgiebiger als zuvor. Sie trifft sich fast überall in Deutschland, in Polen und im Baltikum, mit den großen Gestalten des geistigen und kulturellen Lebens. Seit 1787 tritt sie mit Erfolg als Schriftstellerin hervor. 1794 besucht sie Eutin – und dort lassen wir die beiden so unterschiedlichen Frauen in der gemütlichen Stube des Hauses des Schulrektors Johann Heinrich Voß zusammentreffen.

Ernestine: Kommen Sie doch herein in die Stube, Elisa. Ich habe alles vorbereitet.

Elisa: Vielen Dank, Ernestine.

Ernestine: Sie sind eine so weit gereiste Frau, sind schon im Italien und andernorts gewesen.

Elisa: Ja, es hat sich so ergeben. Nach meiner Scheidung, da musste ich noch von meiner Schwester, der Herzogin von Kurland, unterhalten werden. Ich hatte ja nichts, konnte an vielen Reisen der Familie nicht teilnehmen. Doch als ich mein Landgut bekam, von Zarin Katharina, hatte ich die Möglichkeit, alles zu tun was ich mir so lange versagt hatte.

Ernestine: Sie ließen sich so früh scheiden. Dabei hätten sie das schöne Leben einer Gutsherrin verbringen können, mit Kindern. Da hätte es ihnen an nichts gemangelt!

Ernestine: Das klingt ja schrecklich. Ein Mann muss seiner Frau die Möglichkeit geben, im Haushalt aufzublühen, mit Liebe und Verständnis.

Elisa: Und wenn er es nicht tut – dann gibt es kaum Konsequenzen. Ich habe das selbst so erfahren. Ein Ehemann kann sich verhalten wie er möchte.

Ernestine: Eine Ehe ist immer Arbeit; beide müssen sich aufeinander zubewegen. Ich lebe auch nicht ohne Rückschläge – es gab Momente des Streits und der Uneinigkeit zwischen mir und Voß – aber wir haben daran gearbeitet, haben uns in den anderen hineingefühlt. Je länger wir miteinander leben, desto seltener wurden solche Misstöne, ein Beweis, dass wir beide gestrebt haben, Grundfehler an uns zu verbessern, und dass wir nicht vergebens gestrebt haben.

Ernestine: Sie hätten das Glück noch finden können, mit einer zweiten Heirat.

Elisa: Obwohl es einige Interessenten gab, und viel Druck von meiner Familie, konnte ich es einfach nicht mehr. Diesem Druck musste ich mich immer widersetzen. Es hatte sich nach und nach in den 6 Jahren einer so unglücklichen Ehe eine unwiderstehliche Abneigung gegen das Heiraten in mir festgesetzt; Liebe wollte ich jetzt nur noch für meine Geschwister fühlen, und für Freunde.

Ernestine: Da muss ihnen ein häusliches Umfeld doch fehlen.

Elisa: Das tut es. Die Geborgenheit, die Sicherheit einer solchen Rolle, die gibt es für mich nicht. Ich bin meine eigene Herrin. Für mich gibt es die fernen Länder und die Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen. Dafür verzichte ich auf ein so behagliches, bürgerliches Zuhause, wie sie es haben, Ernestine.

Ernestine: Es ist eine wahre Wonne, mein Platz hier. Er ist mir einfach angeboren. Wenn es die ideale Umgebung gibt – einen guten Mann, ein sicheres Einkommen – dann blühen wir Frauen auf in unserer Rolle als Mutter und Hausfrau.

Elisa: Das mag sein. Weder an meinem noch an ihrem Lebenswandel ist etwas auszusetzen – egal, wie verschieden sie sind. Eine Ehe kann so unterschiedlich ausgehen. Trotzdem ist eine Frau immer dem Willen des Mannes ausgesetzt. Es gibt keine Möglichkeit für uns, dem zu entkommen. Und das ist schlichtweg ungerecht.

Erzählerin: Dieses Gespräch zeigt zwei Frauenleben auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ja, Elisa von der Recke und Ernestine Voss sind verschieden geprägt, erzogen und gebildet worden, und haben ein ganz anderes Verständnis der eigenen gesellschaftlichen Rolle. Und doch trafen sie sich hier, im Eutiner Haus der Familie Voß, die von einer bürgerlichen, privaten Lebensform gesprägt war die als „Vossische Hausidylle“ in die deutsche Kulturgeschichte eingegangen ist. Hier, in der privaten Gemütlichkeit, war der Austausch auch unter Frauen möglich, und sollte eine Gesprächskultur antizipieren, die alternative Lebensentwürfe mit einbezieht.

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