Transcript Dr. Dorothea Rodde-Schlözer
Erzählerin: Ihr hat dieser Ort schon immer gefallen. Und auch heute liegt der Schlossgarten so ruhig und schön da, wie er es immer tut: Gleisendes Sonnenlicht fällt durch die Baumkronen und sprenkelt den Kiesweg in leuchtende, tanzende Formen. Die Bäume zu beiden Seiten der Allee sind so breit und buschig gewachsen, dass die Äste und Blätter den noch so kleinsten Wind auffangen und ein zitternes, beruhigendes Geräusch von sich geben, der die Menschen einhüllt. Ja, hier ist sie gerne unterwegs. Die holsteinische Idylle, die Dorothea Schlözer fernab der geschäftigen Straßen von Lübeck sucht, findet ihre Perfektion in diesem Garten. Zuhause ist sie Ehefrau, Mutter, Gastgeberin – immer in Gespräche verwickelt. Hier, auf diesem Uferpfad, ist sie bei sich selbst und ihren Gedanken.
Dorothea: „Der Philosophenweg! So nennen sie ihn. Wenn man von der Lindenallee her auf ihn abbiegt, dann ist man plötzlich in der völligen Natur. Im Gegensatz zur Allee ist der Philosophenweg niedriger und dunkler, verwinkelt legt er sich an den Rande des Sees. Man steigt auf und ab, wechselt die Richtung und begegnet den unterschiedlichsten Büschen und Bäumen, die unsymmetrisch gepflanzt sind. Hinter jeder Ecke wartet etwas Neues, Unvorhersehbares.
Wenn einem die Möglichkeiten und Werkzeuge gegeben werden, dann kann jeder seine Gedanken auf eine solche verwinkelte Reise schicken.
Sobald ich ihn betrete ist dieser Pfad auch gleichzeitig ein Weg der Philosophin. Als erste deutsche Frau wurde ich mit nur 17 Jahren ein Doktor der Philosophie! Da fiel es einigen leicht, mich zu belächeln. ‚Ein Experiment‘ – so nannten sie meine Erziehung, in der Angst, dass, wenn es schief ginge, ich zu nichts mehr taugen würde in einer Rolle als Hausfrau und Mutter.
Schon früh war mir klar, dass der Haushalt mich nicht ausfüllen könnte. Ich brauchte die Welt dahinter, die tieferen Gedanken, die sich winden wie dieser Weg hier. Ich wollte ergründen, wieso Dinge funktionieren, und wie sie aufgebaut sind. Da kann mir niemand sagen, dass das Unnatürlich ist! Kochen und Spinnen ist doch nie und nimmer so angenehm, als wenn man eine historische Vorlesung hört. Klar, wenn ich Latein oder einen schweren Satz im Euklides auszuarbeiten habe, dann vergeht mir manchmal schon die Geduld, aber dann denke ich mir: wenn ich diesen Satz und Latein verstehe, so lerne ich dadurch, wie eine Brille beschaffen sein muß, und das ist doch wohl angenehmer, als bei Hitze und Frost in der Küche zu stehen.
Dann sagen sie mir andauernd, meine Gelehrtheit wäre männlich, und meine Sanftheit weiblich. Obwohl doch beide Eigenschaften zutiefst menschlich sind! Meiner Freundin Luise habe ich vor langer Zeit schon gesagt: Frauen sind nicht in der Welt, blos um Männer zu amüsieren. Frauen sind Menschen wie Männer: der eine soll den anderen glücklich machen.“
Erzählerin: „Dorothea Schlözer ist eine bürgerliche Frauengestalt des Umbruchs, die zu ihren Lebzeiten freilich noch eine sehr große Ausnahme darstellt. 1792 heiratet sie Mattheus Rodde, der später Bürgermeister von Lübeck und nobilitiert wird. Doch auch als Ehefrau und Mutter bleibt sie die wissenschaftlich und kulturell interessierte Denkerin und sucht den Austausch mit dem gelehrt-literarischen Deutschland ihrer Zeit. Sie war mehrfach in Eutin.“