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Transcript Johanna Eleonora Petersen

Erzählerin: Johanna Eleonora von Merlau ist eine religiöse Frau. Sie ist so religiös, dass sie ihr Leben zunächst im Status der Jungfräulichkeit verbringen möchte, als ein gelebtes Zeichen ihrer Frömmigkeit sozusagen – verheiratet mit Gott. Erst mit 36 Jahren heiratet sie den Theologen Johann Petersen, der wenig später mit ihr nach Eutin zieht. Er wird dort nämlich Superintendent im Fürstbistum Lübeck, dem einzigen rein protestantischen Fürstbistum im ganzen Kaiserreich. Diese Stellung ermöglichte dem bürgerlichen Pastor erst, eine Dame aus adligem Hause zu heiraten. Die frisch Vermählten ziehen 1680 in das Haus in der Stolbergstraße 2. Johanna bekommt Kinder und unterstützt ihren Mann in seinen Aufgaben – dennoch hört sie nie auf, ihren religiösen Bedürfnissen und Gedanken nachzugehen. Seit jeher hat Johanna einen ein hohes Selbstbewusstsein und starke Überzeugungen. Sie denkt intensiv über die Rolle des einzelnen Menschen nach, und was jeder selbst tun kann, um Gottes Vorstellungen zu entsprechen. Und so beginnt sie in Eutin über diese Fragen zu schreiben, um ihre Erkenntnisse mit anderen zu teilen.

Johanna Eleonora: Ich hatte immer schon den Drang, über Gott nachzudenken. Begonnen hatte alles damals, als ich als Jugendliche am Hofe angestellt war. Das Leben dort war aufregend und abwechslungsreich – aber die größte Freude brachte mir die Nähe zu Gott, die ich in vielen Gottesdiensten, Gebeten und geistlichen Gesprächen finden konnte. Damals fand ich meinen Weg zum Selbststudium der Bibel, welches ich bis heute gewissenhaft fortsetze. Es liegt genau in dieser stillen Zeit, die man mit Beten und Lesen verbringt, mit der sich der Mensch – egal woher er kommt und was er ist – Gott näherbringen kann, ja Gott in sich verwirklichen kann.

Aber meine Belesenheit und Frömmigkeit hat nicht allen gepasst, gerade am Hofe. Was haben die anderen mich verspottet! Sie fanden mein Benehmen, mein Bedürfnis zum geistigen Austausch befremdlich. Sie holten extra Geistliche heran, die mir sagten, dass ich falsch lag in meinen Wunsch, mein Leben Gott zu widmen, und dass ich nicht solche „schweren“ Gedanken haben sollte. Einmal, zur Essenszeit, da lachten sie über mich und meine Bücher. Sagten, dass es sich nicht gezieme für eine Frau so viel in der Bibel zu lesen, da sie es sonst riskierte, zu klug zu werden. Pah!

Sie haben nicht verstanden, dass ich es eben ernst meine mit meinem Glauben, dass ich es als meine Aufgabe im Leben ansehe, dahinterzukommen, wie man ein ideales Leben führen kann. Obwohl ich mir kein Urteil erlauben wollte, wurden mir die Veranstaltungen langsam zu frivol, und die Menschen zu scheinheilig. Wir müssen uns nicht weltlichen Gelüsten hingeben, sondern in der stillen Erkenntnis unseres Selbst zu Gott finden, in der Hinterfragung und Anpassung unser innersten Persönlichkeit. Egal wer wir sind – ob Mann oder Frau, ob Bürgerlich oder von Adel – wir müssen erkennen, dass wir in der Lage sind, uns von Grund auf zu ändern. Ich habe diese Kraft; in jedem liegt sie verborgen.

Erzählerin: Nachdem sie ihr erstes schriftstellerisches Werk veröffentlichte verlässt Johanna Eleonora Petersen 1688 mit ihrem Mann Eutin und zieht nach Lüneburg. Bis an ihr Lebensende bleibt sie nicht bloß eine treue Begleiterin von Johann Wilhelm Petersen, der zu einem Wortführer des radikalen Pietismus wird. Vielmehr tritt sie selbst als eigenständige, selbstbewusste und gebildete Schriftstellerin in Erscheinung, was für damalige Zeiten noch sehr ungewöhnlich war.

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