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Transcript Elisabeth Meltz

Erzählerin: Das Haus in der Riemannstraße 2 erinnert heute mit einer Tafel an einen berühmten Besitzer, an den Hofrat Christoph Friedrich Hellwag. Der Arzt, Naturwissenschaftler und Volksaufklärer war ohne Zweifel ein bedeutender Mann und weit über die Stadtgrenzen Eutins hinaus bekannt. Doch einer anderen Bewohnerin, die nur wenige Jahrzehnte nach Hellwags Tod dort gewirkt hat, wird nicht gedacht. Obwohl sie für die Menschen Eutins Bemerkenswertes geleistet und dieses Haus einst auf ganz besondere Weise mit Leben gefüllt hat: Die Lehrerin und Rektorin Elisabeth Meltz. Sie gründet im April 1859 eine Mädchenschule – der Unterricht wird anfangs noch in einem Zimmer des Elternhauses abgehalten. Dieses platzt jedoch durch die stetig wachsende Zahl an Schülerinnen aus allen Nähten, weshalb Elisabeth Meltz zunächst dieses Gebäude anmietet, und es 1866 schließlich ganz erwirbt.

Elisabeth: Wenn ich mir unser Städtchen so ansehe, dann geht alles seine gewohnten Wege. Es ist ein Uhrwerk: Die Menschen, ihre Aufgaben und Gepflogenheiten – alles greift ineinander und hat seine Routine gefunden. In der Gesellschaft und in der Familie hat jeder seinen angestammten Platz. … Und doch habe ich das Gefühl, dass nicht jeder profitiert, nicht jeder sich frei entfalten kann. Ich glaube, dass der Hälfte der Bevölkerung kontinuierlich die Macht genommen wird, das eigene Leben zu gestalten. Nein, wohl eher werden die Voraussetzungen dafür genommen, über das eigene Leben entscheiden zu können.

Die Jungen unserer Stadt sehe ich emsig in den Schulbänken sitzen. Besorgt ist man über ihr Bestehen in der Gesellschaft, und bedacht auf eine umfassende Bildung. Mädchen hingegen – sie lernen lediglich Fähigkeiten, die ihnen zuhause, im Privaten, etwas nutzen. Sie sollen Mütter sein, und Hausfrauen. Mehr ist nicht erwünscht, da man davon ausgeht, dass ihnen wirkliche Verantwortung nicht übertragen werden muss. Wichtige Entscheidungen treffen dann die Männer. Mehr noch: Frauenbildung wäre sogar gefährlich für dieses gut geölte System. Wenn die Frauen entdecken, welche Möglichkeiten dort drauen warten, dann ist niemand mehr da, um das Haus zu führen. Eben deshalb möchte ich den Mädchen von Eutin die Hand reichen und zurufen: ‚Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘

Ich will den Kindern die Freiheit geben, diesen Verstand zu nutzen. Wie oft habe ich mich damals in meiner Kindheit vor meinen häuslichen Pflichten gedrückt. Dann zog ich mich auf den Hausboden zurück, oder fuhr weit auf den See hinaus, um diese Freiheit, diesen Frieden, zu finden – und zwar zwischen Buchdeckeln. Diese Möglichkeit des Lesens, des Studiums von Texten, ist fundamental für jeden Menschen, um sich aus dieser Unmündigkeit herauszuarbeiten, die beinah schon normal oder natürlich erscheint. Für eine aufklärerische Gesellschaft muss jeder in der Lage sein, frei seinen Verstand zu gebrauchen und sich der Vormünder zu entledigen, die über sie herrschen.

Erzählerin: Nachdem um 1800 erste Versuche, Schulen für Mädchen zu gründen, in Eutin gescheitert sind, gelingt es Elisabeth Meltz, Mädchenbildung fest in der lokalen Bildungslandschaft zu etablieren. Es sind in der Regel solche Privatinitiativen gewesen, die im 19. Jahrhundert dafür gesorgt haben, die Bildungschancen von Mädchen zu verbessern und damit auch die entscheidenden Grundlagen dafür zu legen, dass Frauen in der Moderne endlich nach sozialer Gleichbehandlung und Gleichberechtigung streben können.

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